Der Anlaß für ein Coaching im Rahmen von Stressmanagement ist bei
vielen Führungskräften ein Erschöpfungszustand, psychosomatische Beschwerden
oder ein Zustand des Ausgebrannt-Seins (burnout). Die Führungskraft
erlebt einen nicht erwünschten Ist-Zustand, den sie mit Hilfe des
Coaches und Arztes in den erwünschten Soll-Zustand überführen möchte.
Stresssymptome manifestieren sich auf der somatischen und psychischen
Ebene (Miltner, Birbaumer, Gerber, 1987). Deshalb ist eine intensive
Kooperation zwischen dem Coach und dem auf Gesundheitsmanagement spezialisierten
Arzt nützlich. Derjenige, der gecoacht wird, der Coachee, erhält so
ein umfassendes Gesundheitsmanagement.
Führungskräfte
oder selbstständig Arbeitende haben oft eine Wochenarbeitszeit von 70
Stunden. Meistens werden externe Faktoren genannt, die täglich über
das gesunde und effektive Maß hinaus anspornen : Ein hohes Arbeitspensum,
Termindruck, Qualitätsdruck oder Stückzahl-Vorgaben werden in Coaching-Sitzungen
als Stressoren genannt. Die Coachees erwähnen Rollenkonflikte, wie beispielsweise
die „Sandwich“-Position des Meisters, der eingebettet ist zwischen den
Erwartungen seiner Mitarbeiter und den Erwartungen seines Vorgesetzten.
Weitere Stressfaktoren können Anforderungen sein, die sich durch Fusionen
zu Großkonzernen ergeben, wie beispielsweise Team-Besprechungen oder
Mitarbeitergespräche, welche in der Konzernsprache Englisch abhalten
sind.
Aus der NLP-Sicht sind innere Überzeugungen und Werte „Knöpfe“, auf
die externe Streß-Faktoren drücken. Werte sind tiefverwurzelte Haltungen
über das, was Menschen in ihrem Leben wichtig ist. Werte haben viele
Quellen: Elternhaus, Schule, Freunde, Menschen, die Förderer waren,
das Arbeitsumfeld, Vorgesetzte. Auch der Markt der Mitbewerber vermittelt
Erfahrungen, aus denen sich Werte entwickeln. Werte und Normen bedingen
die Sichtweise der eigenen Landkarte.
Manche Werte
sind bewusst, das heisst, Coachees wissen, dass sie diese Werte besitzen
(z.B. die Unternehmenskultur). Ein Blick hinter die Kulissen ihrer Werte
entschlüsselt die persönliche Wertestruktur. Unbewusste Werte werden
entschlüsselt, die auf subtile Art Denken, logische Folgerungen und
emotionalen Befindlichkeiten steuern. Die Entschlüsselung der inneren
Werte und Normen führt zu einer Modifikation des äußeren Handelns. Stimmt
das äußere Handeln mit den inneren Werten und Normen überein, so entsteht
befriedigendes und sinnhaftes Handeln und Erleben. So können die Coachees
besser verstehen, was sie erleben oder wie sie handeln.
Reflektion
der Werte
Werte können
im Gespräch reflektiert werden mit der Frage:
„Was würden Sie nicht tun, obwohl Sie es könnten? Was müsste passieren,
daß Sie es dennoch täten?“ (Dilts, 1999). Durch die Frage nach der Ausnahme
werden höherrangige Werte identifiziert.
Wir geben
unseren Coachees eine Reflektionsaufgabe (Senge, 1994). Aus einer Liste
von Werten (Mohl, 1996) wählen die Coachees/Patienten die zehn wichtigsten
Werte aus. Bei der Auswahl bekommen die Coachees/Patienten die Aufgabe,
zu einer Party von Werten einzuladen. „Welche Werte würden Sie einladen,
wenn sie nur zehn Werte einladen können?“, ist die Reflektionsfrage
an die Coachees/Patienten.
Diese zehn Werte werden in eine Rangreihe gebracht. Die Rangreihe entsteht,
wenn die Coachees von den zehn Werten gedanklich Werte streichen. Die
Werte werden gestrichen, die Sie vernachlässigen könnten, wenn sie es
müßten. Dieses Wegstreichen von Werten fällt schwer. Um den Prozeß zu
erleichtern und die Klarheit zu fördern, lassen wir die Werte vor der
Hierarchisierung definieren. Coachees nennen gerne Wertehierarchien,
die ihrem Idealbild entsprechen oder gesellschaftlich akzeptiert sind.
Die Verknüpfung der Werte mit dem wöchentlichen Zeitbudget und konkreten
Inhalten hilft, die tatsächlich gelebte Wertehierarchie herauszuarbeiten
und Diskrepanzen zu erkennen. Im Idealfall ist der Coachee in der Lage,
diese tiefere innere Werthierarchie zu erkennen. Durch die Wahrnehmung
von Bedürfnissen, der mit den Werten verbundenen Konsequenzen und dem
Erkennen der positiven Absichten hinter den Werten kann die tiefere
Werthierarchie erschlossen werden.
Beispiel: Der Wert „Familie“ steht auf Rang 1 Ihrer
Wertehierarchie, darauf folgt „Beruf“ und ihr „Hobby“.
Werthierarchie |
Zeit pro Woche
in Std. |
Inhalte |
1.Familie |
12 |
Fernsehen, Essen,
Gespräche während des Fernsehens |
2.Beruf |
70 |
Aktuelle Aufgaben
incl.10 Überstunden |
3.Fußball spielen
als Hobby |
2 |
Training, Vereinsheim |
In diesem Beispiel ist fraglich, ob wirklich „Familie“ auf Position
eins steht. Da das zeitliche Budget geringer ist als bei „Beruf“ und
inhaltlich Tätigkeiten durchgeführt werden, die auch ohne Familie gemacht
würden (Fernsehen, essen). Vielleicht ist Familie in der tiefen Werthierarchie
ein hoher Wert, der durch eingeschränkte „Landkarten“, fehlende Ressourcen
oder einschränkende Überzeugungen verdeckt wurde. Das Umsetzen der Top-Werte
im Alltag führt zu einer ressourcenreicheren, ganzheitlicheren Lebensführung,
die die Balance zwischen Beruf-Privatleben-Gesundheit wiederherstellt
und zu einem ganzheitlichen Streßmanagement führt.
An konkreten
Handlungen oder Entscheidungen kann die Frage nach dem „Wozu“ Werte
entschleiern. Die Werte können in einem Prozeß des „chunking up“ bearbeitet
werden. Der Coachee überlegt, welchen Wert er zusätzlich abgedeckt hat,
der vielleicht noch höherrangiger ist? Dieses „chunking up“ führen wir
solange durch, bis keine Antwort mehr gegeben werden kann.
Beispiele:
Ein erstes Beispiel zeigt eine Führungskraft, die auch am Samstag arbeitet
und damit den Wert „Karriere machen“ abgedeckt. Der Coach fragt: „Was
haben Sie noch erreicht, wenn Sie am Samstag abend in ihrem Bett liegen
und über den Tag nachdenken, was Ihnen vielleicht noch wichtiger ist
als „Karriere machen“? Möglicherweise das Gefühl ganz in einer Sache
aufzugehen, ganz bei sich zu sein oder „seinen Lebensplan“ zu erfüllen.
Ein zweites Beispiel verdeutlicht die Persönlichkeitsstruktur einer
Führungskraft. Die Wertehierarchie besteht in der Reihenfolge „Beruf-Gesundheit-Familie-Heimatverbundenheit-Geld“.
Auf ein finanziell interessantes Stellenangebot im Ausland wird er ablehnend
reagieren, denn Heimatverbundenheit steht in seiner Wertehierarchie
höherrangig als Geld.
Die Reflektion der Werte kann zu verändertem Stressverhalten führen,
wenn für die Top-Werte ein Handlungsplan erabeitet wird, der den Rang
des Wertes würdigt. Im obigen Beispiel können mit der Führungskraft
für den Top-Wert „Familie“ Tätigkeiten überlegt werden, die der Top-Position
sowie den Bedürfnissen der Führungskraft und seiner Familie entsprechen.
Ist die Diskrepanz zwischen echten eigenen Werten und tatsächlich gelebter
Wertehierarchie zu groß, entsteht mangelnde Identifikation mit dem alltäglichen
Umfeld. Die daraus resultierende Unzufriedenheit kann mit den gängigen
Verdrängungmechanismen (Überaktivität etc) kurzfristig abgeschwächt
werden. Durch lösungsorientiertes Coaching können Wege zur realistischeren
Umsetzung tiefer innerer Werte im Alltag erabeitet werden. So entsteht
Authentizität. „Harmonie und Kraft ist nur in unserem Leben, wenn das
Äußere ist wie das Innere“ (Albert Schweitzer).
Literatur:
- Miltner, Birbaumer, Gerber,
Verhaltensmedizin, 1986
- Dilts, R. Hierarchies of criteria, Article of the month, www.nlpu.com
- Andreas, C.& S, Gewußt wie
- Senge, P. Die fünfte Disziplin
- Mohl, A. Der Zauberlehrling
Autoren:
Dr. Dipl. Psych. Horst-W. Reckert, Jahrgang 1964, gelernter Bankkaufmann,
Diplom-Psychologe, zertifzierter NLP-Lehrtrainer (DVNLP), Ausbildung
in Hypnotherapie, Trainer, Coach und Berater,Diplom-Arbeit und Dissertation
über zwei Coachingtechniken aus dem NLP, www.dr-reckert-training.de,
www.dr-reckert.de
Ich danke Dr. med. Lydia
Reutter, Tübingen, Prakt. Ärztin und Ärztin für Traditionelle Chinesische
Medizin (TCM) und Traditionelle Europäische Medizin (TEM), für wertvolle
inhaltliche Anregungen (www.reutter.com)